Die Engelsburg, Musensitz der Erfurter Humanisten - Aus ihrem Kreise kamen die "Dunkelmännerbriefe" / Von Dr. Kurt Lorenz
Wer mitten im Kern der Erfurter Altstadt den spitzen Winkel zwischen Markt- und Allerheiligenstraße betritt, wird mit freudiger Genugtuung begrüßen und dem Rat der Stadt Erfurt dafür Dank wissen, daß nunmehr die Restaurierungsarbeiten an der Außenfront eines der kulturgeschichtlich wertvollsten Gebäude Erfurts ihren Abschluß gefunden haben. Es handelt sich um das an der Kirchhofsgasse gelegene Seitengebäude des "Hauses zur Engelsburg" (Allerheiligenstraße Nr. 20). Ursprünglich ein Hospitial des Augustinerordens aus dem Beginn des 12. Jahrhunderts, wurde die "Engelsburg" - der Name ist wohl in sinnvoller Umdeutung aus "Elendsburg" entstanden - nach der Uebersiedlung der Augustinerbrüder in den Süden des damaligen Stadtgebietes eine Art Patrizierburg. In ihr residierten lange Zeit hohe mainzische Beamte als Vertreter ihres Erzbischofs in Erfurt. 1493 war die "Engelsburg" im Besitze Heinrich Speters, des Schwiegervaters des Humanisten Eobanus Hesse, und 1520 gehörte sie dem berühmten Arzt Dr. Georg Sturtz, der im Obergeschoß des jetzt restaurierten Seitengebäudes den Erfurter Humanisten für ihre "königlichen Sitzungen" eine Tagungsstätte schuf. Dieser Musensaal, dieses "Museum", besaß eine korstbare Täfelung an der Decke und den Wänden, und der zur Kichhofsgasse vorspringende "Humanistenerker" ist noch heute ein Zeuge jenes Glanzes vergangener Zeiten.
Dieser Musensitz in der "Engelsburg" war die Geburtsstätte einer geistigen Tat, die im Zuge der großen weltanschaulichen und religiösen Kämpfe und Umwälzungen des beginnenden 16. Jahrhunderts eine gewaltige Bresche in die Vorherrschaft der römischen Kirche und ihrer Dogmatik schlug. Der von Mutianus Rufus in Erfurt gegründeten Gelehrtengesellschaft von Humanisten gehörten neben vielen anderen Crotus Rubianus, Eobanus Hessus und Ulrich von Hutten an, die in jugendlicher Begeisterung und mit Feuereifer sich dem Kulturerbe der klassischen Antike hingaben. Aus diesem Humanistenkreis kam die Anregung zu den berühmten Epistolae obscurorum virorum, den "Dunkelmännerbriefen". Diese Briefsammlung wurde 1515/16 namenlos von Crotus Rubianus und Eobanus Hessus herausgegeben, wobei Venedig als Druck- und Erscheinungsort fingiert war. 41 dieser Briefe sind Crotus Rubianus selbst zuzuschreiben. Im Jahre 1517 erfolgte die Herausgabe eines zweiten Bandes von Briefen, deren Verfasser kein anderer als Ulrich von Hutten war.
Diese "Dunkelmännerbriefe" sind nach Form und Inhalt als Briefe von Mönchen an Mönche fingiert, und in der Tat brachte niemand in höherem Maße als Ulrich von Hutten die Voraussetzungen zur Autorenschaft dieser Briefe mit. Aus fränkischem Rittergeschlechte stammend, wurde Ulrich von Hutten frühzeitig von seinen Eltern für den Mönchsstand bestimmt und 1499 als elfjähriger Knabe dem Benediktinerstift in Fulda übergeben. Aber bereits 1505 entzog er sich durch Flucht dem ihm unerträglich gewordenen Klosterleben mit all seinem Zwang, um mit den Universitäten Erfurt, Köln und Frankfurt an der Oder sich klassischen humanistischen Studien zu widmen. Nach einem wilden, unsteten Wanderleben, oft in bitterster Not, kehrte Hutten wieder nach Erfurt zurück, schloß sich dem Humanistenkreis an und wurde zu einem rührigen Mitarbeiter an den "Dunkelmännerbriefen".
Die Tatsache, daß Hutten aus eigener Anschauung Kenntnis des klösterlichen Lebens und seiner Mißstände hatte, machte seine Feder zu einer besonders starken Waffe. Der inhaltliche Gegenstand kam seinem aufgeschlossenen, genialen, kämpferischen, freiheitsdurstigen, sprühenden Feuergeist entgegen. Hier war er in seinem Element. Die "Dunkelmännerbriefe" sind zwar gegen die Dominikanermönche in Köln gerichtet, schildern aber darüber hinaus satirisch den Mönchsstand dieser Zeit überhaupt in seiner ganzen Sittenlosigkeit, Dummheit und Unwissenheit und Verfolgungssucht. Mit allen Mitteln geistigen Witzes, bald boshaft sarkastisch, dann wieder in den Ton derber, ans Burleske streifender Zoten verfallend, werden das klösterliche Wohlleben mit seinen Mißständen wie Trunk- und Freßsucht und anderen noch weit schlimmeren Ausschweifungen, vor allem aber die Unwissenheit und Unbildung der großen Masse der Mönche angeprangert. Um die Fiktion der Abfassung durch Mönche von den eben geschilderten geistigen Qualitäten aufrecht zu erhalten, mußte auf einen fein geschliffenen, im klassischen Latein etwa nach dem Vorbilde Ciceros sich bewegenden Sitl verzichtet werden. Ein geradzu barbarisches Latein tritt uns in diesen Briefen entgegen, von grammatischen Fehlern strotzend, plump und ungeschliffen in raffiniertester Weise Ausdruck und Denkformen des Halbgebildeten nachahmend.
Der Erfolg dieser Briefsammlung war von durchschlagender Wirkung. Die lebendige, jugendfrische Wissenschaft des Humanismus triumphierte über die weithin muffig und stickig gewordene Luft mittelalterlichen Klosterlebens. Crotus Rubianus, Ulrich von Hutten und all die anderen humanistischen Mitarbeiter an den Epistolae obscurorum virorum haben das Verdienst, in ihrer Zeit Kämpfer für Deutschlands kirchliche und politische Freiheit gewesen zu sein.
(Thüringische Landeszeitung, 11.10.1952)